Die Geschichte Dortmunds ist auch mit der Zuwanderung von Arbeitskräften und deren Familien eng verbunden. Waren es bis zur Reichsgründung noch Menschen, die zum größten Teil aus der näheren Umgebung, aus Rheinland und Westfalen stammten, so änderte sich dies seit den 1870er Jahren grundlegend. Die Industrie war aufgrund der Ausdehnung von industriellen Zentren und Subzentren schon damals gezwungen, Arbeitskräfte aus weiterer Entfernung anzuwerben. Zunächst wurden im deutschsprachigen Osten, später auch in Polen, das damals in seinen westlichen Teilen preußisch war, Arbeitskräfte für die Zechen und Eisenwerke angeworben.
Im weiteren Verlauf erfolgte in einer Art Kettenreaktion eine Zuwanderung aus den östlichen Provinzen, aus Westpreußen, Posen und insbesondere aus Ostpreußen. Diese Zuwanderung hatte zur Folge, dass in Dortmund in der Zeit von 1880 bis 1905 der Anteil der in Westfalen geborenen Einwohner von 77 auf 66 Prozent zurückging. Ein prägendes Merk mal der Industrialisierungsphase waren Mobilität und Fluktuation der Arbeiterbevölkerung innerhalb der dicht beieinander liegenden Industrieregionen.
Was den Ausländeranteil anbetraf, so spielten nur die immigrierten Polen eine bedeutende Rolle. Ihr Anteil an den Belegschaften im Bergbau war dabei besonders hoch und erreichte in einzelnen Zechen des Ruhrgebietes 90 Prozent.
Eine neue Infrastruktur der Industriebetriebe, Zechen, aber auch der Städte und Dörfer war dazu unerlässlich. Von 1871 bis 1876 ist das städtische Sanierungsprogramm Dortmunds eng mit dem Namen des Oberbürgermeisters Becker verbunden. 1872 nahm das Wasserwerk seinen Betrieb auf; Gasversorgung und Straßenbeleuchtung waren bereits seit 1857 sporadisch vorhanden.
Seit 1881 verkehrte eine Pferdebahn zwischen Steinplatz und Fredenbaum als Vorläufer der 1894 elektrifizierten Dortmunder Straßenbahn. 1881 wird mit der Kanalisation der Stadt begonnen und 1885 nehmen Schlachthof und Viehmarkt ihren Betrieb auf.
Ein besonderes Problem wurde und blieb lange Zeit die Wohnungsfrage. Geradezu charakteristisch für diese Zeit waren die „Kolonien”, werkseigene Wohnungen größerer Industrieunternehmen. Die sozialen Missstände, die unterschiedliche Wurzeln im Arbeits- und Privatleben hatten, bedurften geradezu einer Interessenvertretung der während der Industrialisierung vorherrschenden Bevölkerung, der Arbeiterschaft. Die sozialen Probleme der Industrialisierung sind zwar sowohl von staatlichen als auch bürgerlichen und kirchlichen Kreisen früh erkannt worden, dennoch wurde die staatliche Sozialpolitik zu keinem Regulativ für die Arbeiterschaft gegenüber dem ausufernden kapitalistischen Gründungs-, Wettbewerbs- und Ausbeutungsfieber.
Seitens der Arbeiterschaft wurde im Ruhrgebiet vor und nach der Jahrhundertwende der soziale Protest insbesondere von den Bergarbeitern formuliert und getragen Den Anstoß zu einer gewerkschaftlichen Bewegung im Ruhrgebiet gab der große Streik von 1889, an dem 80 Prozent aller Belegschaften teilnahmen.
Auf den damals 32 Dortmunder Zechen streikten allein 19.000 Arbeiter. Die zur Verhandlung mit Kaiser Wilhelm II. berufenen Dortmunder Delegierten Schröder, Bunte und Siegel gingen als „Kaiserdeputierte”genau so in die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ein wie die Grün dung des „Alten Verbandes”, des Vorläufers der IG Bergbau und Energie, am 18. August 1889 im Gasthof Ziegler in Dorstfeld.
200 Delegierte aus 66 Zechen des Ruhrgebiets hatten die Gründung einer gemeinsamen Gewerkschaft mit dem Langnamen „Verband zur Wahrung und Förderung der bergmännischen Interessen in Rheinland und Westfalen” beschlossen. Der hohe Organisationsgrad der Bergarbeiter sowie die bis heute bewahrte Eigenständigkeit bergmännischer Traditionen bedurfte auch prägnanter Führungspersönlichkeiten, die nicht zuletzt mit einem der bedeutendsten Standorte der Arbeiterbewegung – mit Dortmund – verbunden sind.
Die Gründung einer Ortsgruppe des Lassalleanischen ADAV (Allgemeiner Deutscher Arbeiter-Verein) erfolgte auf Initiative des Schneidergesellen Joseph Bönsch im Oktober 1868 in einer Kneipe am Ostwall.
Seit 1878, als Bismarcks Sozialistengesetz die Agitation der Sozialdemokratie bis 1890 unterband, war Carl Wilhelm Tölcke, der „Vater der westfälischen Sozialdemokratie”, in Dortmund ansässig und eine der wichtigsten Persönlichkeiten in der ständig anwachsenden Arbeiterpartei. Sein Grab befindet sich auf dem Ostenfriedhof neben denen von Bergarbeitern, die bei Grubenunglücken ums Leben kamen.
Der Aufschwung der organisierten Arbeiterbewegung im Ruhrgebiet zur Zeit des Kaiserreiches ging stark von Dortmund und Hörde aus. Mit den Bergarbeiterstreiks einhergehende Solidarisierungs- und Politisierungsprozesse waren ausschlaggebend für eine sich herausbildende Arbeiterbewegung und Arbeiterkultur, die sich mangels einer
demokratischen Verortung des Kaiserreichs stark vom Bürgertum abgrenzten.
Aber erst mit der Aufhebung des Dreiklassenwahlrechtes 1919 konnten sich die Sozialdemokratie, die katholische Zentrumspartei und andere demokratische Parteien endgültig in Dortmund etablieren. Immerhin war es vor der Jahrhundertwende einzig in Westfalen und im Ruhrgebiet einem Dortmunder Sozialdemokraten, Dr. Franz Lütgenau, dem Mitbegründer der Volkshochschule, gelungen, 1895 in den Deutschen Reichstag gewählt zu werden.
Bei den Reichstagswahlen von 1898 wurde die Sozialdemokratie in Dortmund und Hörde bereits die stärkste politische Partei – eine Besonderheit in Westfalen und im Ruhrgebiet. Im Zuge des Zerfalls der lange vor herrschenden politischen Gruppierung – der Nationalliberalen – war es der Partei des politischen Katholizismus, der Zentrumspartei, gelungen, sich ab 1891 in Dortmund zu formieren. Der Zeitungsverleger Lambert Lensing Senior zählte zu den profiliertesten Führungspersönlichkeiten dieser Partei.